30 Jahre Mercedes-Benz 190 E Evo II
Dass es zu einem Fahrzeug wie dem Evolution II kommen konnte, verlangte eine gewisse Vorgeschichte. Diese begann 1984 mit dem Debütrennen auf der damals frisch fertiggestellten Grand-Prix-Strecke des Nürburgrings. Hierfür schickte Mercedes-Benz 20 identische, nagelneue 190 E in der Ausführung 2.3-16 mit 185 PS aus einem 2,3 Liter großen 16V-Triebwerk an den Start. Diese unterschieden sich lediglich in ihrer Lackierung (entweder Rauchsilber oder Blauschwarz metallic) und wurden von Rennfahrern der damaligen Formel-1-Weltmeisterschaft gesteuert. Am Ende eines regennassen Rennens überquerte der damals noch relativ unbekannte Ayrton Senna die Ziellinie als Erster. Zeitgleich bewegte sich die schwäbische Automarke bereits in der Deutschen Tourenwagen Meisterschaft (DTM) und entwickelte hierfür immer wieder neue Bauteile am 190 E. So debütierte 1986 auf dem Pariser Autosalon der 190 E 2.5-16 mit 2,5 Litern Hubraum und 195 PS. Daraus entstand für 1989 der 190 E 2.5-16 Evolution, von dem aus Homologationsgründen 502 Exemplare mit Straßenzulassung im Farbton Blauschwarz metallic entstanden sind. Sein Debüt erlebte diese Variante auf dem Genfer Autosalon 1989.
Gerade im Motorsport ist jedoch nichts so alt wie das Rennauto des Vorjahres. Das galt besonders in der alten DTM und führte dazu, dass Mercedes-Benz auf dem Genfer Autosalon am 8. März 1990 den neuen 190 E 2.5-16 Evolution II enthüllte. Bereits in der im Rückblick ‚Evo I‘ genannten Ausführung zeigte der 190 E Kotflügelverbreiterungen, eine Frontspoilerlippe und einen Heckflügel auf dem Kofferraumdeckel. Wer bei diesem Anblick bereits an Tuningexzesse dachte, fiel bei den ersten Bildern des ‚Evo II‘ vermutlich in eine kurze Ohnmacht. Die Kotflügelverbreiterungen bestanden nun aus breiten Kunststoffanbauteilen, die jeweils bis zu den Stoßfängern verlängert wurden. Unter der Frontschürze befindet sich ein in zwei Stufen in Längsrichtung einstellbarer Spoiler, an der Oberkante der Heckscheibe sitzt ein Luftleitelement und auf dem Kofferraumdeckel ein Flügel im XXL-Format mit herausziehbarem Flap. Zudem ließ sich darunter an der eigentlichen Klappe eine Spoilerleiste aufklappen, um zusätzlichen Abtrieb zu generieren. Maximal sind bis zu 21,2 Kilogramm Anpressdruck an der Vorder- und 57,1 Kilogramm an der Hinterachse möglich. Einen solchen Umbau des 190 E hätte sich damals kein namhafter Tuner getraut – nicht einmal der inzwischen legendäre D&W-Katalog. Und es handelte sich nicht nur um reine Motorsportbauteile. Um das Reglement zu erfüllen mussten auch vom Evo II wieder 500 Exemplare straßenzugelassen in den freien Verkauf gelangen – letztlich wurden es wieder 502 im Farbton Blauschwarz metallic, obwohl sich das Gerücht hält, es hätte für zwei Daimler-Manager Fahrzeuge in Silber gegeben.
Wie frei dieser Verkauf war, kann man sich bei einem damaligen Neupreis in Höhe von 115.259,70 DM wohl gut vorstellen – vor allem wenn man weiß, dass ein 190 E 1.8 weniger als ein Drittel dieses Preises kostete. Für soviel Geld durften die Kunden jedoch mehr als nur eine wilde Optik erwarten. Das 2,5-Liter-Triebwerk erhielt eine Leistungssteigerung auf 173 kW/235 PS. Verantwortlich hierfür waren Chefmotorenentwickler Dr.-Ing. Jörg Abthoff und seine Mitarbeiter Rüdiger Herzog, Dag-Harald Hüttebräucker und Rudolf Thom. Für die DTM-Version des Evo II steigt die Kraft auf bis zu 373 PS. Letztmalig entsteht dabei ein Motorsporttriebwerk in der normalen Motorenentwicklung von Mercedes-Benz, bevor die hinzugekaufte Marke AMG diese Aufgabe übernahm. Die Kraft des 2,5-Liter-Motors gelangt über ein manuelles Fünfgang-Sportgetriebe auf die 17 Zoll großen Hinterräder. Der Schalthebel zeigt dabei nicht nur die individuelle Limitierungsnummer des Evo II, sondern auch das eher ungewöhnliche Schaltschema mit dem ersten Gang unten links an.
In der DTM gibt der 190 E Evo II erst am 16. Juni 1990 sein Renndebüt auf der Nordschleife des Nürburgrings. Während anfänglich nur zwei Rennfahrzeuge zum Einsatz kamen, änderte sich dies bis zum letzten Saisonlauf der DTM im Oktober 1990 auf dem Hockenheimring, wo schließlich alle werksunterstützten Teams das neue Auto auf die Strecke schicken konnten. Bereits zwei Monate zuvor hatte Kurt Thiim in Diepholz den ersten Sieg für den Evo II eingefahren. 1991 erreichte Klaus Ludwig die Vize-Meisterschaft und 1992 die Fahrer-Meisterschaft mit dem Evo II, wobei er und die anderen Mercedes-Piloten in dieser Saison 16 von 24 DTM-Läufen gewannen. Aufgrund seiner Seltenheit ist die Straßenversion des Mercedes-Benz 190 E 2.5-16 Evolution II inzwischen eine gesuchte Rarität und erreicht Preise bis zu 200.000 €. Damit überbieten Exemplare des Evo II sogar den ebenso seltenen Evo I – vermutlich aufgrund der ungewöhnlichen und beim Debüt fast schockierenden Optik.
Bilder: Mercedes-Benz