30 Jahre Volkswagen Golf Country
1989 präsentierte Volkswagen auf dem Genfer Autosalon eine Konzeptstudie, die eine Frage beantwortete, die zur damaligen Zeit niemand gestellt hatte: Wie sieht ein Golf für Offroad-Fahrten aus? Gemeinsam mit Steyr-Daimler-Puch (heute Magna Steyr) in Österreich hatte man die Karosserie eines viertürigen Golf II auf einen um 120 Millimeter erhöhten Rohrrahmen gesetzt, um anschließend die normale Bodengruppe des allradgetriebenen Golf Synchro auf verstärkten Federn und Dämpfern darunter zu montieren. Das Ergebnis nannte man Golf Montana. Dieses Konzeptfahrzeug sollte einfach ein Gedankenspiel darstellen, ohne jemals in Serie produziert zu werden. Allerdings gingen innerhalb kürzester Zeit diverse Vorbestellungen bei den völlig überforderten Volkswagen Händlern ein, die zum Teil nicht einmal von der Existenz dieses Autos wussten. Dennoch veranlassten diese unerwarteten Reaktionen den Autobauer dazu, eine Serienfertigung zu prüfen und schließlich gemeinsam mit Steyr-Daimler-Puch in Angriff zu nehmen. Nachdem die Studie auch auf der IAA 1989 gezeigt wurde, gingen weitere Vorbestellungen ein und bestärkten VW in der Entscheidung, eine Kleinserie aufzulegen.
Diese begann im April 1990 und war sehr aufwändig. Zuerst entstand im Stammwerk Wolfsburg ein Golf II CL Synchro mit dem 72 kW/98 PS und 143 Newtonmeter starken Vierzylindermotor in der vom Kunden gewünschten Außenfarbe. Dieses Fahrzeug gelangte anschließend per LKW ins rund 930 Kilometer entfernte Graz in Österreich, wo bei Steyr-Daimler-Puch die oben erwähnten Umbaumaßnahmen durchgeführt wurden. Insgesamt wuchs der Golf dabei um rund 18 Zentimeter in die Höhe, während die Bodenfreiheit um lediglich 63 Millimeter anstieg. Das Gesamtergebnis ging dann als Golf Country zu den Händlern und den wartenden Kunden, die aufgrund dieser ungewöhnlichen Produktionsgeschichte jedoch mit einem Grundpreis von 33.225 DM überrascht wurden – ein damals unvorstellbarer Betrag in der Kompaktwagenklasse. Dafür erhielt man allerdings neben der Höherlegung und dem Synchro-Allradantrieb auch einen Rammschutz mit zwei Zusatzleuchten sowie einen Motorschutz an der Front und ein außenliegendes Reserverad an einem zur linken Seite schwenkenden Bügel am Heck. Obwohl die Optik Abenteuer abseits asphaltierter Straßen versprach, kam der Golf Country wie viele heutige SUVs ohne Differenzialsperren und auf normalen Straßenreifen daher, was seine Geländegängigkeit stark einschränkte. Darüber hinaus näherte sich der Golf II als Basis des Konstrukts bereits seiner Ablösung durch den Golf III.
Um die Entwicklungskosten ansatzweise wieder einzuspielen, schob VW bereits im Juli 1990 den Golf Country Allround für 31.825 DM hinterher, der sich durch eine deutlich vereinfachte Ausstattung an funktional-orientierte Kunden richtete. Anstelle von Sportsitzen und Vierspeichenlenkrad erhielt der Allround Kunstledersitzbezüge und Stahlräder. Zudem war er ausschließlich in der Lackfarbe ‚Waldgrün‘ erhältlich. Doch auch dieser Versuch, Jäger, Förster und weit abseits von Straßen lebende Landwirte zu erreichen, floppte gewaltig. Von dieser Variante entstanden lediglich 160 Exemplare. Stattdessen versuchte man es in Wolfsburg ab Anfang 1991 in der Gegenrichtung und addressierte mit dem nur in Schwarz lieferbaren Golf Country Chrom Edition bewusst Lifestyle-Kunden, die dieses Fahrzeug vermutlich eher im Großstadt-Dschungel als im Stadtwald bewegten. Hierfür erhielt der Möchtegern-Geländewagen beigefarbene Echtledersitze, ein großes Faltschiebedach von Webasto sowie diverse, namensgebende Chromzierteile zu einem Grundpreis von 42.060 DM. Interessanterweise entstanden von der Chrom Edition dennoch 558 Stück.
Deutlich seltener blieb der Golf Country GTI, der nur 50-mal für hochrangige VW-Mitarbeiter entstand. Hinzu kamen diverse weitere Motorisierungen, die im Fahrversuch ausprobiert, aber letztlich nicht in die Serienfertigung übernommen wurden. Im Oktober 1991 rollte das finale Fahrzeug von insgesamt 7.735 aus der Produktionshalle von Steyr-Daimler-Puch. Aus heutiger Sicht nahm der Golf Country einen Trend voraus, den 1990 noch niemand kommen sah. Heute ist es selbstverständlich, dass Kinder im SUV zum Kindergarten oder in die Schule gefahren werden und selbst Senioren die hohe Sitzposition des erst 16 Jahre später präsentierten VW Tiguan zu schätzen wissen. Während seiner Produktionszeit war der Golf Country jedoch weder Fisch noch Fleisch und wurde von vielen Betrachtern verlacht.
Bilder: Volkswagen