45 Jahre Jaguar XJ-S
Wie ersetzt man ein Automobil, das bereits während der laufenden Produktion Legendenstatus erlangte? Vor diesem Problem stand Jaguar in den 1970er Jahren. Der E-Type hatte seinen Zenit überschritten. Man brauchte einen neuen Grand Tourer, denn ein wirklicher Sportwagen war der E-Type spätestens seit der dritten Serie und dem Wechsel vom Reihensechszylinder zum V12 nicht mehr. Zu diesem Wandel hatten nicht nur veränderte Kundenanforderungen geführt, sondern auch neue Zulassungsvorschriften in wichtigen Exportländern wie den USA. Als Grundbasis für das neue Modell wählte man aus Kostengründen die Bodengruppe der Limousine XJ der zweiten Generation. Allerdings gönnte man dem Coupé zugunsten besserer Proportionen eine Radstandsverkürzung um rund 25 Zentimeter. Eine offene Variante entfiel vorerst aus dem Programm.
Seine Weltpremiere feierte der neue Jaguar XJ-S auf der IAA 1975 in Frankfurt. Als Antrieb des 2+2-Coupés nutzte man das 5,3 Liter große V12-Triebwerk aus dem E-Type Serie 3, das dank Benzineinspritzung auf 211 kW/287 PS kam. Für die Kraftübertragung zur Hinterachse gab es für die Kunden anfänglich die Wahl zwischen einem manuellen Viergang-Getriebe und einer Dreigang-Automatik von BorgWarner. Mit Schaltgetriebe verließen bis 1978 jedoch lediglich 352 Exemplare die Werkshallen, obwohl diese Version in nur 6,8 Sekunden auf Tempo 100 spurtete, während die Automatikvariante mit 7,9 Sekunden angegeben wurde. Zur damaligen Zeit war dies das schnellste Produktionsfahrzeug von Jaguar mit 241 km/h Höchstgeschwindigkeit. Bekanntheit erlangte der XJ-S durch die britische Fernsehkrimiserie ‚Simon Templar‘, in der die Hauptfigur ein weißes Exemplar mit dem Kennzeichen ST-1 fuhr.
1981 erfolgte nach zuletzt enttäuschenden Verkaufszahlen eine Modellpflege. Mittels modernerer Benzineinspritzanlage und den neuen High-Efficiency-Zylinderkopf (HE) steigerten die Ingenieure die Leistung auf 220 kW/295 PS. Gleichzeitig sank der durchschnittliche Kraftstoffverbrauch um mehr als 20 Prozent. Deutlich nötiger waren hingegen die Qualitätsverbesserungen in Verbindung mit mehr Komfort und besserer Innenraumanmutung mittels Holzzierleisten. Von außen erkennt man die Serie 2 durch weniger wuchtige Stoßfänger mit Chromleiste. Zwei Jahre später ergänzte Jaguar das Angebot um die neu entwickelte Version mit 3,6 Liter großem Reihensechszylindermotor und 163 kW/222 PS. Anfänglich stand nur ein Getrag-Fünfgang-Getriebe zur Wahl, ab 1987 folgte eine ZF-Automatik, die deutlich häufiger bestellt wurde.
Diverse Kunden wünschten sich bereits seit der Markteinführung des XJ-S eine offene Cabrio-Karosserie. Da diese bei der ursprünglichen Entwicklung dieses Modells jedoch nicht vorgesehen war, konnte man nicht so schnell auf diese Anfragen reagieren, wie Interessenten sich dies gewünscht hätten. Daher gab es speziell in den USA, aber auch in Großbritannien und Deutschland einige Umbauten durch kleine Karosseriebauer. Im Herbst 1983 debütierte der XJ-SC als erste offene Variante mit Targadach und herunterfaltbarer Heckscheibe. Parallel arbeitete man gemeinsam mit Karmann in Osnabrück fieberhaft an einem Vollcabrio mit verwindungssteifer Karosserie, das schließlich 1988 auf dem Genfer Autosalon präsentiert werden konnte.
Obwohl der Jaguar XJ-S nie als besonders sportlich galt, nutzte Tom Walkinshaw Racing (TWR) ihn erfolgreich in der Europäischen Tourenwagen Meisterschaft (ETCC), deren Titel man 1984 gewann. Tom Walkinshaw errang zusätzlich den Fahrertitel. Aus diesem Grund entwickelte TWR einen markanten Spoilersatz für das XJ-S Coupé und den XJ-SC, der offiziell über die Jaguar-Händler erhältlich war. Basierend auf dieser Optik erschien schließlich 1988 der XJR-S 5.3 mit Sportfahrwerk und Spoilerkit, aber ohne Mehrleistung im Vergleich zum normalen XJ-S 5.3.
Nachdem Ford die finanziell angeschlagene Marke Jaguar aus dem Konzern British Leyland herausgekauft hatte, gab es 1991 ein zweites großes Facelift, das zugleich zum Wegfall des Bindestriches im Namen führte (XJS statt XJ-S). Diese war intern eigentlich bereits drei Jahre zuvor fertig, ging aber nicht in Serie, da man vorhandene Lagerbestände erst abverkaufen wollte. Auffälligstes Exterieurdetail waren die neuen, in die Heckklappe reichenden Rückleuchten mit dunkler Tönung. Zudem änderten sich bei den Coupés die Seitenscheiben hin zu rahmenlosen Fenstern in den Türen und geklebten, größeren Glasteilen dahinter. Gleichzeitig veränderte man die Neigung der Heckscheibe, um Platz für hintere Sicherheitsgurte zu schaffen. Innen sorgten zusätzliche Rundinstrumente für mehr Informationen. Beim Sechszylindermotor stieg der Hubraum auf vier Liter und die Leistung auf 163 kW/222 PS. Der im Frühjahr 1993 nachgeschobene V12 kam nun mit glatten sechs Litern Hubraum und 222 kW/302 PS sowie einer Höchstgeschwindigkeit von 260 (Coupé) beziehungsweise 257 km/h (Cabriolet) zu den Händlern. Die US-Versionen lagen durch geänderte Abgasreinigungssysteme leistungstechnisch hinter den Autos für den europäischen Markt zurück. In der Übergangszeit zwischen dem XJ-S 5.3 und der Einführung des XJS 6.0 bot TWR den XJR-S 6.0 mit einem eigens konstruierten V12-Triebwerk und 243 kW/330 PS an, von dem 124 Coupés für den weltweiten Markt und 50 Cabriolets für die USA entstanden sind.
Zum Modelljahr 1993 entfielen zudem endgültig die verchromten Stoßfänger zugunsten von aerodynamisch günstiger geformten Kunststoffteilen, während hinten nun die Achse der neuen XJ Limousine mit wartungsfreundlich nach außen verlagerten Scheibenbremsen verbaut wurde. Es gab jedoch sowohl beim Facelift 1991 als auch bei den Detailänderungen 1993 keinen Stichtag der Umstellung, sondern eine Einführung sobald der alte Lagerbestand verbraucht war. Somit gibt es diverse Übergangsmodelle. Am 4. April 1996 verließ ein eisblaues XJS 6.0 Coupé als letztes Exemplar der Baureihe die Produktionslinie und gelangte gemeinsam mit dem am gleichen Tag produzierten letzten XJS 4.0 (einem roten Cabriolet) direkt in die Werkssammlung. Insgesamt produzierte Jaguar in 20,5 Jahren knapp über 115.000 XJ-S, XJ-SC, XJR-S und XJS. Einige davon erhielten Umbauten zu dreitürigen Kombis (Lynx Eventer, Arden AJ 3) oder zum Coupé mit langem Stufenheck (Arden AJ 6). Heutzutage handelt es sich bei allen Exemplaren, sofern sie einen guten Erhaltungszustand aufweisen, um Liebhaberfahrzeuge, die nur selten im Alltagsverkehr zu sehen sind.
Bilder: Jaguar