Volvo 300 Serie
Wenn Sie an Klassiker aus dem Hause Volvo denken, welche Modelle kommen Ihnen dann in den Sinn? Vermutlich die Amazone, der Buckel und der P1800 ES. Selbst 240, 740 oder 960 sind inzwischen über den Status der Youngtimer hinaus. Gern vergessen wird indes die 300 Serie, die zwischen 1976 und 1991 in den Niederlanden produziert wurde. Da es bereits zuvor eine 100 Serie und ab 1974 auch eine 200 Serie gab, wählte Volvo die nächsthöhere Hunderterreihe für das neue Modell. Allerdings entstand diese Baureihe nicht in Schweden. Stattdessen handelte es sich um die finale PKW-Entwicklung aus dem Hause DAF. Dort war unter dem internen Code P900 seit 1970 ein Nachfolger für den DAF 66 in der Entwicklung. Hierfür suchten die Niederländer nach Geldgebern und Technikzulieferern. Sondierungsgespräche mit BMW und anderen Herstellern scheiterten jedoch. Schließlich tat man sich mit Volvo zusammen.
Von der Kooperation zur Übernahme
Der schwedische Autobauer hatte seit dem Produktionsende des Amazon nur noch den großen 100 (später 200) und das Sportcoupé P1800 ES im Programm. Gemeinsam mit DAF wollte man in den Markt der kleineren Limousinen zurückkehren und hierfür auf Basis des P900 Badge Engineering betreiben. Angedacht war eine Produktion als DAF 77 und parallel dazu als Volvo-Modell mit kleineren optischen Retuschen. Hierfür teilte man mit den niederländischen Kollegen Erfahrungen in den Bereichen Karosseriebau und Sicherheitsausstattungen. Bedingt durch die Ölkrise 1973 geriet DAF jedoch in eine finanzielle Schieflage. Dies versuchte Volvo anfänglich aufzufangen, indem man 33 Prozent der PKW-Fertigung der Niederländer aufkaufte. Als das nicht ausreichte, kam man mit DAF überein, 1975 die komplette PKW-Sparte zu übernehmen. DAF konzentriert sich seither voll auf LKW. Als ersten Schritt integrierte man den bisherigen DAF 66 als neuen Volvo 66 ins Modellprogramm. Aus dem Projekt P900 entwickelte Volvo bis 1976 den 343 als neues Einstiegsfahrzeug.
















Vierzylindermotor von Renault
Da der P900 zum Zeitpunkt der Volvo-Übernahme bereits weit fortgeschritten war, beließen es die Schweden beim geplanten Triebwerk. Dieses stammte von Renault und holte 51 kW/70 PS aus 1,4 Litern Hubraum. Diese Leistung konnte sich im Vergleich zu Wettbewerbern durchaus sehen lassen. Zudem waren die Motoren sehr zuverlässig. Allerdings sorgten Sicherheitseinbauten wie der Seitenaufprallschutz für ein hohes Fahrzeuggewicht. Verglichen mit anderen Kompaktfahrzeugen der Ära lag es rund 100 Kilogramm höher, wodurch auch der Verbrauch anstieg. Anfänglich sorgten auch Verarbeitungsmängel für Unmut unter den qualitätsbewussten Volvo-Kunden. Die passive Sicherheit, der Fahrkomfort und die Straßenlage waren jedoch große Pluspunkte. Für die etwas ungewöhnliche Form der dreitürigen Schräghecklimousine hatte Giovanni Michelotti verantwortlich gezeichnet. Sie verhalf dem Wagen auch zu seiner Modellbezeichnung: Serie 300, 4 Zylinder-Motor, 3 Türen = 343. Auf dem Genfer Autosalon 1976 stand der Kompaktwagen erstmals im Rampenlicht.
Anfangs nur mit Variomatic
Ein weiteres Detail, das Volvo von DAF übernahm, war das stufenlose CVT-Getriebe namens Variomatic. Im Gegensatz zu einem Schalt- oder Automatikgetriebe sorgen hier nicht verschiedene Zahnradpaare für die Übersetzung zwischen Motor und Antriebsachse. Stattdessen befinden sich Riemen auf Kegelrädern, die ihren Abstand zueinander variieren und damit unterschiedliche Übersetzungsverhältnisse stufenlos simulieren. Diese Verstellung funktioniert mittels Fliehkraftgewichten und elektropneumatische Membranzylinder. Der Fahrer kann nur zwischen Vorwärts- und Rückwärtsgang wählen, wobei es retour theoretisch ebenso schnell wie voraus geht. Ab Herbst 1978 offerierte Volvo den 343 optional mit einem Viergang-Schaltgetriebe. Dieses erwies sich schnell als Verkaufsschlager und ließ den Anteil von neuen Fahrzeugen mit Variomatic bis 1982 auf nur noch 15 Prozent absinken. Das stufenlose Getriebe blieb trotzdem bis zum Produktionsende 1991 im Programm.




























Ab 1979 auch als fünftüriger 345
Innen erhielten die ersten Volvo 343 ein braunes Armaturenbrett mit orangefarbener Instrumentierung. Dieses Farbspiel passte überhaupt nicht zu den restlichen Modellen, wohl aber zu DAF. Im Herbst 1977 erfolgte eine Modellpflegemaßnahme, die dem Wagen einen schwarzen Armaturenträger und die vorderen Sitze aus dem Schwestermodell 242 einbrachte. Auch die Heizungsregler und die nun schwarzen Instrumente entstammten der größeren Limousinenbaureihe. Zwei Jahre später erweiterte Volvo die Modellpalette um den fünftürigen 345. Zudem gab es nun die drei Ausstattungslinien L, DL und GL. Ein weiteres Jahr darauf gab es ein Facelift mit neuen Stoßfängern. Unter der Motorhaube steckte nun auf Wunsch alternativ der B19A-Vierzylindermotor von Volvo mit 70 kW/95 PS aus zwei Litern Hubraum. Diesen Antrieb gab es aufgrund des höheren Drehmoments jedoch nur mit manuellem Getriebe. Zudem mussten für diesen Motor die Positionen von Reserverad und Tank verändert werden.
Neue Nummerierung ab 1982
Im Sommer 1981 spendierte Volvo der 300 Serie das umfangreichste Facelift der Modellgeschichte. Anstelle der runden Scheinwerfer kamen nun eckige Breitbandscheinwerfer zum Einsatz. Dazwischen erstreckte sich ein neuer Kunststoffkühlergrill. Unterhalb der Frontstoßstange integrierte Volvo eine Frontspoilerlippe. Modifikationen am Interieur ließen ein Jahr lang auf sich warten. Grauer, geschäumter Kunststoff bildete ab August 1982 die Türverkleidungen und das Armaturenbrett. Erneut gab es anders gestaltete Instrumente. Außerdem veränderte Volvo über die gesamte Modellpalette hinweg die Bezeichnungen. Das gewohnte System mit Angabe der Zylinder- und Türenanzahl entfiel. Stattdessen hießen die Wagen mit dem 1,4-Liter-Renault-Motor nun 340 und die mit dem größeren Volvo-Motor 360. Letzteren gab es nun auch als viertürige Stufenhecklimousine. Diese Karosserievariante folgte ein Jahr darauf auch für den 340.














Auf Wunsch auch mit Dieselmotor
1985 erfolgte letztmalig eine optische Veränderung. Die neu gestalteten Stoßfänger wurden nun je nach Ausstattungsgrad teilweise in Wagenfarbe lackiert. Vorn integrierte man zudem die seitlichen Blinker knapp vor den Vorderrädern. Diese saßen zuvor etwas unschön mitten auf dem Kotflügel. Am Heck fielen neue Leuchten mit kleineren Rückfahrscheinwerfern auf. Außerdem waren bei den Drei- und Fünftürern nun die Heckscheiben in die Kofferraumklappe eingeklebt. Im 340 arbeitete nun auf Wunsch ein 1,7 Liter großer, 59 kW/80 PS starker Renault-Motor. Alternativ bot Volvo erstmals einen 1,6-Liter-Dieselmotor mit 40 kW/54 PS an, der ebenfalls von Renault zugekauft wurde. Beim luxuriöser ausgestatteten 360 gab es zwar im Laufe der Jahre zahlreiche Motormodifikationen, aber keine Alternativantriebe. Es blieb beim zwei Liter großen Vierzylinder, der nicht so richtig zur 6 an zweiter Stelle der Modellbezeichnung passen wollte. Der 360 entfiel 1989 aus dem Programm, während der 340 noch bis 1991 als Einstiegsmodell unterhalb des 440 weiterproduziert wurde.
Rund 1,1 Millionen Stück
Speziell in den Benelux-Staaten, in Frankreich und in Deutschland erfreute sich die 300 Serie von Volvo stets großer Beliebtheit. Daneben gab es über Europa hinaus Exporte nach Australien und Neuseeland. In die USA gelangte das Kompaktmodell nie. Alle Varianten und Motorisierungen zusammengenommen entstanden rund 1,1 Millionen Exemplare. Dank langlebiger, zuverlässiger Technik und einer relativ guten Rostvorsorge im Vergleich zu Mitbewerbern, kann der kleine Volvo bis heute überzeugen. Speziell die ab Herbst 1985 teilverzinkte Karosserie kann hier punkten. Weniger Liebe findet das relativ konservative Design. Da es lediglich den 360 optional mit geregeltem Katalysator gab und diese Version selten blieb, sorgten steigende Kfz-Steuern in den letzten Jahren für eine deutliche Dezimierung des Bestands. Der 340 hatte zeitlebens Vergasertechnik, wodurch ein geregelter Katalysator nicht verbaut werden konnte. Und beim 360 verhindert die LH-Jetronic von Bosch die Nachrüstung eines Kaltlaufreglers und damit die Verbesserung auf Abgasnorm Euro 2.
Bilder: Volvo