Fahrbericht: Polestar 1
„Ja, aber“ – wenn eine Antwort so anfängt, hat das normalerweise wenig mit Überzeugung zu tun. Die gestellte Frage dazu lautet in diesem Fall: „Ist der Polestar 1 ein zukünftiges Sammlerauto?“ Den Weg zur Antwort, die mit „Ja, aber“ beginnt, möchten wir gern näher erläutern. Dabei müssen wir jedoch damit beginnen, die Marke und das Modell näher vorzustellen. 1996 begründete Jan Nilsson in Schweden sein Motorsportteam Flash Engineering. Dieses wurde 2004 von Christian Dahl aufgekauft und ein Jahr später in Polestar Racing umbenannt. Neben Rennfahrzeugen entwickelte man Leistungssteigerungen und Anbauteile für die jeweils neuesten Modelle von Volvo, wodurch man zum Werkstuner und Werksrennteam in der WTCC aufstieg. Schließlich kaufte Volvo die Firma komplett auf. Im Hintergrund gehört die schwedische Automarke bereits seit 2010 zum chinesischen Geely-Konzern, der neue Ambitionen hegt. Aus dem Motorsport-Team Polestar sollte eine eigenständige Automarke werden. Die Rennabteilung firmiert nun als Cyan Racing.
Limitiert auf 1.500 Stück weltweit
Um Polestar als Automarke in die Öffentlichkeit zu transportieren, stellte man auf der Shanghai Motorshow im Oktober 2017 eine Konzeptstudie des Polestar 1 vor. Diese erhielt ihr Grunddesign vom Volvo Concept Coupé aus dem Jahr 2013. Front und Heck entsprechen dem seit 2016 angebotenen Volvo S90, allerdings mit einem eigenständigen Kühlergrill. Dazwischen gibt es jedoch nur zwei Türen und eine niedrige Dachlinie. Von Anfang an wurde angekündigt, dass der 1 das einzige Modell der Marke mit einem Benzinmotor sein würde – in Kombination mit drei Elektromotoren. Alle später folgenden Polestar-Modellreihen werden rein elektrisch angetrieben. Zudem positionierte man den 1 als limitiertes Premiumprodukt in der Oberklasse. Hierzu legte man eine Limitierung auf 1.500 Exemplare weltweit fest. Bis zur Markteinführung dauerte es noch zwei Jahre. Trotz klar schwedischem Design und einem Firmensitz in Göteborg verlagerte man die Produktion ins chinesische Chengdu.
Schöne Form fällt auch Passanten auf
Mit anderen Worten rollte hier also erstmals ein chinesisches Auto auf den Redaktionsparkplatz von Secret Classics. Zugleich auch der erste Wagen mit Hybridantrieb. Den Grund für diesen Blick über den Tellerrand der Klassiker hinaus haben wir weiter oben bereits genannt. Uns ging es ganz klar um die Frage, ob Autosammler in naher oder ferner Zukunft dieses Coupé bei ihren Kaufentscheidungen berücksichtigen sollten. Ein erster Rundgang rund ums Fahrzeug sorgt erst einmal für die klare Meinung, dass die Exterieurform allein schon ein gutes Argument für einen Kauf ist. Auch wenn die eleganten Linien ihre Verwandtschaft zu Volvo nicht verbergen können, ist ein klassisches Coupé einfach immer wieder einen Blick wert. Diesen Eindruck unterstützten im Laufe der Woche, in der uns der Polestar 1 begleitete, auch zahlreiche Passantenreaktionen. Allerdings wurde hier auch deutlich, dass die Marke im Bewusstsein der Öffentlichkeit noch nicht angekommen ist. Kein Wunder, bei lediglich 24 neu zugelassenen Exemplaren des 1 im Jahr 2020.
Schlüssel nicht premiumwürdig
Nun sollten wir endlich die Türen öffnen und hinein schauen. Dafür erhielten wir das wohl hässlichste Detail des Polestar 1 ausgehändigt: den Funkschlüssel. Dieses viel zu leichte schwarze Kunststoffteil hat Ähnlichkeiten mit einer Streichholzschachtel und wird dem Premiumanspruch von Marke und Fahrzeug in keiner Weise gerecht. Glücklicherweise kann man ihn schlicht in der Hosentasche belassen und stattdessen die Tasten an den Türgriffen zum Auf- und Zuschließen benutzen. Die Türen sind groß und öffnen weit. Allerdings stellt man sich schnell die Frage: „Für wen?“ Durch ihre schlichte Länge wird das Einsteigen in engen Parklücken schnell schwierig. Und der Einstieg auf die hinteren Plätze kann nicht ernsthaft im Lastenheft der Entwickler gestanden haben. Diese beiden Notsitze haben bei durchschnittlich großen Erwachsenen auf den vorderen Sitzen leider keinerlei Beinfreiheit. Damit fallen selbst Kinder als Fondinsassen aus dem Raster. Der Weg dorthin wird zudem durch die an den Vordersitzen befestigten Sicherheitsgurte erschwert.
Goldene Gurte zum Jubiläum
Apropos Sicherheitsgurte. Diese fallen beim Polestar 1 vorn durch ihre goldgelbe Farbe direkt ins Auge. Erst auf den zweiten oder dritten Blick wird jedoch deutlich, warum. Als der Wagen 2019 endlich in Serie ging, feierte Volvo 60-jähriges Gurt-Jubiläum. Daher tragen die Gurte Gold und die Gurtschlösser den eingravierten Schriftzug „Since 1959“. Für die vorderen Sitze bietet Polestar die Wahl zwischen weißem oder schwarzen Leder an, während die hinteren Plätze immer in Schwarz gehalten sind. Das kommt der hauptsächlichen Nutzung als zusätzlicher Gepäckraum durchaus entgegen, der jedoch durch die Trennung zwischen den beiden Sitzen eingeschränkt wird. Vorn hingegen fühlen sich beide Insassen auch auf langen Strecken absolut wohl. Sitz- und Lenkradheizung sorgen bei den aktuellen Außentemperaturen ebenso für Wohlfühlatmosphäre, wie die Audioanlage von Bowers & Wilkins inklusive DAB-Radio. Alles, was man hier an Ausstattung sieht, bringt der Polestar 1 ab Werk mit.
Vollausstattung ab Werk
Tatsächlich umfasst die Optionsliste für dieses Coupé lediglich den Punkt „matte Lackfarben“. Die fünf Hauptfarbtöne sind ab Werk glänzend ausgeführt, können jedoch gegen einen Aufpreis von 5.000 € in matt bestellt werden. Ansonsten sind alle Ausstattungsumfänge serienmäßig, selbst das große Panorama-Glasdach mit LED-Polarstern oder die in drei unterschiedlichen Farben lieferbaren 21-Zoll-Räder. Das Digitaldisplay hinter dem Lenkrad, das Head-Up-Display in der Windschutzscheibe, das komplette Infotainmentsystem und selbst das Lenkrad stammen von Volvo. Diese Bauteile zeigen lediglich Polestar-Logos, können aber inzwischen ihr Alter nicht mehr verbergen. Im S90 debütierten die Grafiken und Effekte bereits 2016. Das wird auch bei manchen langen Bedienungswegen im System deutlich. So schlägt das Navigationssystem als Grundeinstellung die Sonderzielsuche und nicht die nach Adressen vor. Eigenständig sind die Carbon-Zierteile und eine umlaufende Chromleiste, die hinten in der Heckscheibe spiegelnde Lautsprecher mit einfasst.
Vier Fahrmodi, 609 PS Systemleistung
Genug zur Außen- und Innenbetrachtung. Wie fährt sich der Polestar 1? Ein Dreh am Schalter auf dem Mitteltunnel und – nichts. Der Wagen startet grundsätzlich im Hybrid-Modus und somit anfänglich rein elektrisch. Ein Dreh-Drück-Schalter unterhalb des Startknopfes und des Kristallglas-Getriebewählhebels ermöglicht die Auswahl zwischen den vier Fahrmodi „AWD“ (permanenter Allradantrieb), „Pure“ (rein elektrisch), „Hybrid“ (Auto wählt automatisch die Antriebsart aus) und „Power“ (volle Leistungsentfaltung). Hierzu müssen wir für einen kurzen Moment noch einmal aussteigen und uns das technische Konzept des Polestar 1 ansehen. Unter der langen Motorhaube versteckt sich ein zwei Liter großer Vierzylindermotor mit Kompressor- und Turboaufladung. Allein stellt er bereits 227 kW/309 PS und 435 Newtonmeter Drehmoment bereit. Zwischen Kurbelwelle und Achtgang-Automatikgetriebe steckt ein Elektromotor, zwei weitere sind an der Hinterachse verbaut. Als kombinierte Systemleistung attestiert das Datenblatt 448 kW/609 PS und volle 1.000 Newtonmeter.
Hohes Gewicht verhindert Sportwagendynamik
Wer nun jedoch bei jedem Gasstoß einen Tritt ins Kreuz erwartet, sieht sich schnell enttäuscht. Der Polestar 1 beschleunigt zwar wie am Gummiband gezogen aus dem Stand bis zur elektronisch abgeregelten Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h. Wirkliche Sportwagenbeschleunigungen sind ihm jedoch ähnlich fremd, wie brettharte Federn. An der Vorderachse sitzen verstellbare Öhlins-Dämpfer, die das Fahrverhalten ein wenig sportlicher machen – zum Tracktool wird der Wagen trotzdem nicht. Der Hauptgrund hierfür verbirgt sich im Mitteltunnel und unter dem Kofferraumboden: die Akkus. Sie treiben das Leergewicht des 1 auf rund 2,4 Tonnen, die in jeder Kurve mitgenommen und bei jedem Bremsmanöver mitverzögert werden möchten. Mit seiner Grundauslegung als sportlich-komfortabler Grand Tourer will der Polestar jedoch eher auf der Langstrecke überzeugen, als auf engen Landstraßen.
Sehr kleiner Kofferraum
Als klassischer Reisebegleiter eines gut situierten Paares taugt der Polestar 1 trotzdem nur eingeschränkt. Hierfür ist erneut die Verteilung der Akkus verantwortlich, allerdings auch der Hang zum Showeffekt. Beim Druck auf den untersten Knopf des Schlüssels oder eine Taste im Cockpit öffnet sich der Heckdeckel. Darunter stehen aufgrund des sehr hohen Kofferraumbodens und einer Showanzeige der elektrischen Antriebstechnik lediglich 126 Liter Volumen zur Verfügung. Wenn das werksseitig mitgelieferte Ladekabel mitgenommen wird, reduziert sich dieser Wert bereits. Aber immerhin kann der Wagen dann an Schnell-Ladesäulen mit bis zu 50 kW Ladeleistung aufgeladen werden. Die durchschnittliche Reichweite des Hybridantriebs liegt bei gezügeltem Gasfuß bei 900 bis 1.000 Kilometern. Wenn man flotter unterwegs ist geht der Wert eher in Richtung 600 Kilometer. Rein elektrisch sind es bis zu 120 Kilometer. In manchen Drehzahlbereichen fällt auf, dass der Verbrenner eher wie ein gesitteter Sechszylinder-Diesel klingt. Nicht laut nagelnd, sondern zurückhaltend.
Ist der Polestar 1 ein Sammlerauto?
Kommen wir zurück zu unserer Eingangsfrage: „Kann der Polestar 1 ein zukünftiges Sammlerauto werden?“ Ja, aber mit Einschränkungen. Aufgrund seiner schönen Karosserieform und der werksseitigen Vollausstattung empfiehlt sich das Coupé von vornherein für diese Kategorie. Allerdings liegt der Neupreis mit 155.000 € sehr hoch für ein Fahrzeug in dieser Größe. Andere Coupés mit ähnlichem Platzangebot kosten rund 75.000 € weniger. Natürlich bieten sie dann keine 609 PS Systemleistung oder gar einen Hybridantrieb. Doch genau hier liegen Fragen im Dunkeln, die noch bei keinem Hybrid- oder Elektroauto final geklärt werden konnten: Was passiert mit den Akkus in zehn, 20 oder 30 Jahren? Wieviel kosten Ersatzteile für den E-Antrieb und sind sie überhaupt erhältlich? Die Antworten dürften Autosammler sehr interessieren, immerhin wollen nur wenige ihre Autos als Kunstobjekte ins Wohnzimmer stellen. Allerdings konnte man den Polestar 1 zeitweise tatsächlich mit Kunst bezahlen. Wobei es interessant wäre, wieviele Kunden diese Option genutzt haben.
Bilder: André Lange, Markus Herrig, Matthias Kierse