Fiat 600 Multipla
Vor einiger Zeit berichteten wir an dieser Stelle vom Stout Scarab, einem der ersten Serien-Vans der Automobilgeschichte. Allerdings entstanden von dem US-amerikanischen Wagen nur wenige Exemplare in Handarbeit. Das multifunktionale Fahrzeugkonzept wurde hingegen später von diversen Herstellern wieder aufgegriffen. Einer davon war Fiat, wo auf Basis des 1955 eingeführten 600ers bereits ein Jahr später auf dem Autosalon in Brüssel eine ‚Multi-Space‘-Variante debütierte, die sich gezielt an größere Familien und Taxi-Unternehmer richtete. Der Name Fiat 600 Multipla sollte die technische Verwandtschaft ebenso verdeutlichen, wie die Vielfältigkeit der Einsatzmöglichkeiten. Wie bei den frühen Exemplaren des normalen 600ers öffnen sich die vorderen Türen gegenläufig. Im Volksmund kennt man diese Anordnung als ‚Selbstmördertüren‘, da es angeblich deutlich leichter ist, aus der Öffnung zu fallen. Im direkten Vergleich zum 600 fällt jedoch auf, dass die Türen und damit auch die vorderen Sitze über der Vorderachse angeordnet sind. Durch diese konsequente Ausnutzung des zur Verfügung stehenden Platzes entstand in der Passagierkabine dahinter Raum für zwei vollwertige Zweisitzerreihen, die über eigene Türen erreicht werden können, und einen großzügigen Kofferraum oberhalb des Motors. Die hinteren Sitzlehnen lassen sich herunterklappen und schaffen dadurch eine zwei Meter lange ebene Ladefläche, die auch als Doppelbett dienen kann.
Die darum herum durch Dante Giacosa gestaltete Karosserie erinnerte Betrachter am ehesten an einen Reisebus im Miniaturformat. Interessanterweise steht die Heckscheibe flacher im Fahrtwind als die Windschutzscheibe, wodurch ein wenig der Eindruck entsteht, der Multipla bewege sich rückwärts. Dieser Eindruck verstärkt sich aus heutiger Sicht auch im Cockpit, wenn man versucht im Verkehr mitzuschwimmen. Der Vierzylinder-Motor im Heck müht sich zwar redlich, stellt aber lediglich 21,5 PS aus 633 Kubikzentimetern bereit und kann damit naturgemäß keine Bäume ausreißen. Fiat gab die Höchstgeschwindigkeit 1956 selbstbewusst mit 90 km/h an. Für den italienischen Innenstadtverkehr reichte es jedoch allemal aus, weshalb sich die Taxi-Version ohne Beifahrersitz vorn und mit einer Bank und zwei zusätzlichen Klappsitzen im Fond rasend schnell verbreitete. Spätestens mit der Modellpflege zum 600 D Multipla mit mehr Hubraum (767 ccm) und Leistung (32 PS) wurde das Fahrzeug auch für Familien interessanter. Während die italienischen Taxen untenrum grün und oben schwarz lackiert waren, trugen die an Privatkunden ausgelieferten Fiat 600 Multipla häufig Pastelltöne, die ebenfalls gern in Zweifarblackierungen kombiniert wurden. Hinzu kamen durch externe Karosseriebauer zu Pritschenwagen umgebaute Fahrzeuge für Handwerker und Unternehmer sowie eine Abarth-Version mit leichter Leistungssteigerung, die von den Abarth-Händlern als Werbeträger und Transportwagen genutzt wurde.
Auch wenn der Jahrzehnte später unter gleichem Namen präsentierte Minivan aufgrund seines polarisierenden Designs international verlacht wurde, gilt der 600 Multipla für Fiat als wichtiger Klassiker der Markengeschichte. Ab morgen (23. November) bis zum 19. April 2020 steht ein Fahrzeug aus dem Werksbesitz als Leihgabe in der neuen Sonderausstellung ‚Cars: Accelerating the Modern World‘ im Victoria & Albert Museum in London. Die Kuratoren dieser Ausstellung suchten gezielt nach Autos, die im 20. Jahrhundert Gesellschaft und Wirtschaft beschleunigten und trugen 15 von ihnen zusammen. Hinzu kommen mehr als 250 weitere Exponate wie Werbeplakate und Kühlerfiguren. Daneben sind natürlich auch die permanenten Kunstausstellungen des Museums zu besichtigen.
Bilder: Fiat