Jaguar XJ220
Jaguar blickt auf eine lange Geschichte zurück, in der die Firma immer wieder einmal den Besitzer wechselte. Ab Ende der 1960er gehörte man zur British Motor Corporation (BMC), die kurz darauf zur British Leyland Motor Corporation (BLMC) wurde. Damit war man jedoch in dem Konzern gefangen, der einen Großteil der britischen Automobilindustrie in den Abgrund riss, da interne Manager-Streitigkeiten und Streiks der Arbeitnehmer sowie daraus resultierende miese Verarbeitung der Autos zu einem zunehmend schlechten Außenbild bei potenziellen Käufern und Zulieferern führte. Mitte der 1970er führte dies schließlich dazu, dass der Konzern wegen schlechter Liquidität unter staatliche Aufsicht gestellt wurde. Viele Marken gingen in die Austin Rover Group über, während Jaguar und die Edeltochter Daimler unter dem neu geschaffenen Dach der ‚Jaguar Car Holding‘ weitergeführt wurden. Diese neue Freiheit nutzte man nicht nur für verbesserte Modelle mit gesteigerter Qualität, sondern auch für ein neues Motorsportprogramm, das gemeinsam mit dem Rennteam Tom Walkinshaw Racing (TWR) ins Leben gerufen wurde.
Von Gruppe-C-Erfolgen zum Saturday Club
Neben Einsätzen in der Tourenwagenszene, für die TWR das Luxuscoupé XJ-S passend umbaute, entstanden auch völlig eigenständige Prototypen für die IMSA-Serie in Nordamerika und die Rennen der Interserie und Sportwagen-Weltmeisterschaft nach Gruppe-C-Reglement. Hier ging es der britischen Marke vorrangig um den jeweiligen Saisonhöhepunkt, die 24 Stunden von Le Mans. 1987, 1988 und 1991 gewann man die WM, 1988 und 1990 auch den französischen Langstreckenklassiker. Diese Erfolge führten dazu, dass sich rund um Jaguars Chefingenieur Jim Randle eine Gruppe von weiteren Entwicklern, Aerodynamikern und Designern zum ‚Saturday Club‘ formierte. In ihrer Freizeit nach der Arbeit und an Wochenenden entwickelten sie einen modernen Supersportwagen mit dem V12-Saugmotor der Gruppe-C-Rennwagen. Als Entwicklungsziel setzte man sich einen neuen Geschwindigkeitsrekord für straßenzugelassene Autos in Höhe von 220 mph (rund 354 km/h), was auch zur Namensgebung XJ220 führte.
Concept Car mit Allradantrieb
Bereits nach kurzer Zeit erfuhr die Jaguar-Chefetage von dem Projekt und gab grünes Licht für einen ersten Prototypen, der auf der Birmingham Motor Show 1988 debütieren sollte. Zudem wünschte man sich einen permanenten Allradantrieb, den man bei FF Developments in Auftrag gab. Dieses Unternehmen des ehemaligen Rennfahrers Tony Rolt hatte in den 1960ern bereits ein Allradsystem für den Jensen FF entwickelt. Während man bei der Premiere in Birmingham noch von einer reinen Konzeptstudie sprach, fiel im Jahr darauf der Entschluss für eine Serienfertigung. Trotz eines angekündigten Preises von rund einer Million D-Mark und einer Limitierung auf 350 Exemplare gingen binnen kürzester Zeit über 1.500 Bestellungen bei Jaguar ein. Dies ist zu einem großen Teil auch auf die damalige Wirtschaftssituation zurückzuführen, die es Spekulanten erlaubte, mit Sportwagen und Luxusfahrzeugen binnen kürzester Zeit viel Geld zu verdienen. Entsprechend verlangte Jaguar von den potenziellen Käufern eine Anzahlung von 50.000 britischen Pfund.
Gemeinsam mit TWR gründete Jaguar die Tochterfirma JaguarSport, um den XJ220 zur Serienreife zu entwickeln. Binnen kürzester Zeit stellten sich hier zwei Probleme heraus, die zu gravierenden Veränderungen in den technischen Grundzügen des Supersportwagens führten. Zum einen war der Renn-V12 nicht domestizierbar und wäre damit im Stadtverkehr so gut wie unfahrbar gewesen, vom horrenden Verbrauch mal ganz abgesehen und zum anderen erwies sich der von FF zugelieferte Allradantrieb als zu kompliziert in der Montage. Somit entfielen beide Punkte aus dem Lastenheft und die Suche nach adäquatem Ersatz ging los. Während der Wechsel auf Hinterradantrieb keiner langen Überlegungen bedurfte, machte man es sich beim Triebwerk nicht ganz so leicht – immerhin wollte man ja dennoch das gesteckte Tempoziel erreichen. Letztlich entschied man sich für ein 3,5 Liter großes V6-Aggregat mit doppelter Turboaufladung. In seinen Grundzügen stammte dieser Motor vom MG Metro 6R4, einem Mittelmotor-Rallyefahrzeug aus der Gruppe B. Im XJ220 standen schließlich 404 kW/549 PS und 642 Newtonmeter Drehmoment zur Verfügung, die den auf 4,93 Meter verkürzten Sportwagen in 3,8 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 und in glatten 12 Sekunden auf Tempo 200 beschleunigten. Dies drückte sich auch eindrucksvoll mit einer Rundenzeit von 7:46,36 Minuten auf der Nürburgring Nordschleife aus, womit der XJ220 dort 1991 zum neuen Rekordhalter wurde.
Temporekord erreicht, Ziel verfehlt
Im britischen Bloxham, nahe Banbury, entstand eine neue Fabrikationshalle, die 1991 für den Aufbau von sieben Vorserienfahrzeugen genutzt wurde. Einen davon testete Rennfahrer Andy Wallace auf der Firestone-Teststrecke in Fort Stockton/Texas und erreichte dabei eine gemessene Höchstgeschwindigkeit von 212,3 mph (rund 341,6 km/h). Damit war der XJ220 zwar offiziell der schnellste Supersportwagen der Welt, verfehlte aber das Ziel um fast acht Meilen pro Stunde. Mit einem weiteren Prototypen, bei dem man allerdings das Drehzahllimit heraufgesetzt und die Katalysatoren im Abgasstrang entfernt hatte, gelang 1992 im italienischen Nardó eine Höchstgeschwindigkeit von 217,1 mph (rund 349,4 km/h). Neben dem reinen Tempo bot der XJ220 eine reichhaltige Serienausstattung inklusive Kassettenradio und Klimaanlage. Dennoch lag das Leergewicht mit 1.470 Kilogramm deutlich unter dem der Konzeptstudie.
Kein Verkaufserfolg
Zwischen Sommer 1992 und 1994 lief schließlich die Produktion des Jaguar XJ220. Doch die recht drastischen technischen Veränderungen und die inzwischen geplatzte Spekulationsblase führten zu einem massiven Einbruch bei den Bestellungen, wobei einige Interessenten sogar auf ihre geleisteten Anzahlungen verzichteten, nur um aus ihrem Vertrag herauszukommen. Jaguar und TWR setzten daraufhin drei Rennfahrzeuge des XJ220 beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans ein, um den Absatz anzukurbeln. Tatsächlich gewann man auch die GT-Klasse, wurde aber nachträglich disqualifiziert, da man den Reglementsabschnitt übersehen hatte, der den Einsatz von Katalysatoren verpflichtend vorschrieb. Zu den bekannten Besitzern der Straßenfahrzeuge gehörte neben Flavio Briatore und Sir Elton auch der Bruder des Sultan von Brunei, der zudem einige Exemplare mit einer von Pininfarina gestalteten neuen Karosserie versehen ließ.
Silbernes Exemplar bei Girardo & Co
Für die Serienversion standen die Lackfarben ‚Le Mans Blue‘, ‚Daytona Black‘, ‚Silverstone Green‘, ‚Monza Red‘ und ‚Spa Silver‘ zur Auswahl. Ein 1995 erstmals zugelassenes Exemplar mit belegbarer Historie in silber wird aktuell von Girardo & Co zum Verkauf angeboten. Trotz Linkslenkung ging der Wagen ursprünglich an Herrn Corrado Morelli in Nordirland. Die zum Fahrzeug gehörenden Unterlagen umfassen die MOT-Zertifikate (vergleichbar mit TÜV-Dokumenten in Deutschland) und diverse Service-Rechnungen. 2013 erhielt der Wagen bei Don Law in Großbritannien einen modifizierten Kofferraum, wodurch nun auch längere Ausflüge mit leichtem Gepäck möglich sind. Vor der Übernahme durch einen neuen Besitzer erhält dieser XJ220 mit seinen knapp über 14.000 Kilometern Laufleistung eine umfangreiche Inspektion bei Jaguar Classic. Den Kaufpreis nennt Girardo & Co auf Anfrage.
Bilder: Girardo & Co