Lancia Aurelia B20 GT Carrera Panamericana

Der britische Oldtimer-Restaurationsbetrieb Thornley Kelham war in unserem Magazin schon mehrfach Thema. Dieser Spezialist für außergewöhnliche Fälle hat sich besonders im Bereich klassischer italienischer Autos einen guten Ruf erarbeitet. Diesmal gewährt man Einblicke in die Restaurierung des wohl berühmtesten Lancia Aurelia B20 GT, an dessen Existenz eigentlich schon niemand mehr geglaubt hatte. Der Grund hierfür liegt in der Geschäftspraxis von Lancia selbst begründet. In den 1950er Jahren nahm deren Werksmannschaft zwar an zahlreichen Motorsportveranstaltungen erfolgreich teil, die Renn- und Rallyefahrzeuge wurden aber sobald sie nicht mehr wettbewerbsfähig waren überwiegend verschrottet. Daher gingen Markenexperten davon aus, dass dieses Schicksal auch den Aurelia B20 GT nicht verschont hatte, mit dem Giovanni Bracco ab 1951 diverse Rennerfolge erzielte.

Bracco kaufte den Aurelia Anfang 1951 direkt von seinem guten Bekannten Gianni Lancia, Sohn des Firmengründers Vincenzo Lancia. Interessanterweise erhielt dieser Wagen laut diversen Quellen ab Werk ein abgesenktes Dach, um die Aerodynamik zu verbessern. Ob dies auf Bestellung von Bracco oder als generelles Projekt der Rennabteilung geschah ist nicht bekannt. Innerhalb von nur drei Monaten überquerte dieser Sportwagen als Zweiter die Ziellinie der Mille Miglia, gewann das Nachtrennen in Caracalla und erzielte einen Klassensieg bei den 24 Stunden von Le Mans. Im weiteren Verlauf des Jahres 1951 folgte der Gesamtsieg bei den 6 Stunden von Pescara und schließlich eine Reise zur Carrera Panamericana nach Mexiko. Allerdings verunfallte Giovanni Bracco in aussichtsreicher Position liegend am vierten Tag der Veranstaltung.

1952 kehrte dieser Lancia Aurelia B20 GT mit dem auffällig niedrigen Dach zurück an den Start der Carrera Panamericana. Allerdings saß nun ein mexikanischer Architekt namens Paredo hinter dem Lenkrad, der Bracco den Wagen abgekauft hatte. Unter seiner Regie waren auch die Unfallschäden aus dem Vorjahr beseitigt worden. Am Ende des rund 3.200 Kilometer langen Straßenrennens belegte Paredo den neunten Platz in seiner Klasse. Was genau im Anschluss mit dem Lancia passierte, verliert sich im Nebel der Zeiten. Viele Experten gingen davon aus, dass er wahrscheinlich im Laufe der Jahre irgendwann auf einem mittelamerikanischen Schrottplatz gelandet wäre.

Schließlich tauchte vor einigen Jahren allerdings das Wrack einer ungewöhnlichen Aurelia B20 GT in den USA auf. Simon Thornley von Thornley Kelham hörte über einen Freund davon, dass die Überreste des Autos über Großbritannien nach Italien gelangen sollten. Durch gute Verbindungen gelang es ihm, in einem Zollfreilager in Southend einen ersten Blick auf diesen Lancia zu werfen und mit seiner Recherche zur Geschichte dieses Wagens zu beginnen. Aufgrund einiger Hinweise im Vorfeld und der abgesenkten Dachlinie hatte er direkt den Verdacht, hier vor dem verschollen geglaubten Bracco-Auto zu stehen. Anhand der Fahrgestellnummer und diversen Details wie den inzwischen zugespachtelten Löchern für die Haubengurte oder einem Hebel neben dem Beifahrersitz, um vom Cockpit aus unterwegs die Einstellung der Hinterachsdämpfer zu verstellen konnte er die Authentizität beweisen. Dies waren wirklich die traurigen Reste von B20-1010, nur noch von wenig Metall und diversen Metern Seil zusammengehalten. Am Heck hatten zudem Ideen eines Vorbesitzers zu einem veränderten Kofferraum nebst Rückscheibe geführt.

Nun ging es in Zusammenarbeit mit dem neuen Fahrzeugbesitzer an die Restaurierung zurück in jenen Zustand, in dem dieser Lancia 1951 mit Giovanni Bracco am Steuer am Start der Carrera Panamericana stand. Auf dem Weg dahin versuchte man soviel originale Substanz wie möglich zu erhalten. Nachdem die irgendwann nach 1952 aufgetragene weiße Farbe entfernt war konnte sich das Team von Thornley Kelham an die Erkundung der Karosserieveränderungen für das abgesenkte Dach machen. Lancia hatte nicht einfach nur die Dachsäulen gekürzt und alles wieder miteinander verschweißt, sondern zusätzlich neue Formen für die C-Säulen gefunden, um den optischen Auftritt des Wagens zu verbessern. Zudem mussten einige unveränderte Teile neu beschafft werden, da sowohl der Kofferraumdeckel des Wracks als auch der Benzintank am Unterboden keine Lancia-Teile waren. Ein durchaus begabter Karosseriebauer hatte hinten Teile eines nicht bekannten anderen Autos zu einer neuen Kofferraumgestaltung an den Aurelia angeschweißt. Irgendein Vorbesitzer hatte außerdem das gesamte Interieur mit einer dicken Schicht Unterbodenschutz überzogen. Genug Arbeit also für das Team von Thornley Kelham.

Nachdem das Heck anhand von alten Bildern und langer Arbeit wieder in der korrekten Form vorhanden und durch einige Lancia-Experten abgenommen worden war, ging es an die Lackierung. Da gemeinsam mit dem Besitzer beschlossen worden war, dem Aurelia B20 GT seine exakte Geschichte wiederzugeben, ging man dabei einen ungewöhnlichen Schritt. Original ausgeliefert zeigte sich der Wagen 1951 in Schwarz, erhielt dann aber für das Rennen in Le Mans eine Umlackierung auf Rot, die italienische Rennfarbe. Bei der Carrera Panamericana startete das Auto allerdings wieder in Schwarz, war also nochmals umlackiert worden. Die restaurierte Rohkarosserie erhielt daher nach der Grundierung erst eine Lackierung in Schwarz, darüber dann in Rot und anschließend erneut in Schwarz. Mark Amis erstellte anschließend anhand alter Fotografien die Sponsorlogos und Startnummern der Carrera Panamericana frei Hand auf der Karosserie. Diese Bilder hatten auch ergeben, dass im Innenraum Sitze aus dem Lancia Ardea verbaut waren, die nun wieder im Cockpit zu finden sind. Mehr als 4.000 Arbeitsstunden steckte das Team von Thornley Kelham in rund drei Jahren in die Wiederauferstehung dieses Lancia. Diverse Erkenntnisse aus diesem Prozess nutzt man aktuell beim Aufbau von neun Exemplaren des Lancia Aurelia ‚Outlaw‘, einem außergewöhnlichen Projekt auf Basis der B20 GT, bei der jeder Kunde Einfluss auf die Farbgebung und individuelle Details nehmen kann. Unter die Haube wandert dabei ein aufgebohrter Flaminia-Motor mit Benzineinspritzung. Am Fahrwerk sitzen moderne Dämpfer und Scheibenbremsen.

Bilder: Thornley Kelham