Lancia Aurelia B24 Spider America

Fragt man heutige Kinder nach der italienischen Automarke Lancia, so kommt bereits jetzt, nur anderthalb Jahre nachdem die Marke von allen europäischen Märkten genommen wurde, lediglich ein Achselzucken. Heutzutage bietet Lancia nur noch in Italien das inzwischen deutlich in die Jahre gekommene Kleinwagenmodell Ypsilon an. Vorbei sind die großen Jahre mit Luxusfahrzeugen, Sportwagen und Rallye-Erfolgen. Modellnamen wie Aprilia, Flavia, Fulvia, Beta, Gamma und Delta sind ebenso Teil der Automobilgeschichte geworden, wie Rennsiege bei der Targa Florio, in der Formel 1 und bei Sportwagenrennen sowie diverse technische Meilensteine in der Vorkriegszeit.

Eines der wohl schönsten Modelle der Marke entstand auf Anraten eines berühmten Amerikaners mit österreichischer Herkunft, der auch unter anderem Mercedes-Benz 300 SL und 190 SL, Porsche 356 Speedster oder BMW 503 und 507 bei den jeweiligen Marken anregte: Max Hoffman. Er sah auch gute Verkaufschancen für einen zweisitzigen, sportlichen Roadster von Lancia und stieß damit in Italien auf offene Ohren. Als Basis nahm man die seit 1950 gebaute Aurelia und überließ es Pininfarina, eine rassige Karosserieform für das verkürzte Chassis des B20 Coupé zu finden. Aus heutiger Sicht kann man den Gestaltern nur immer wieder gratulieren, die Rundungen, Sicken und Kanten ergeben einen hinreißenden Roadster, der bei Lancia allerdings Spider getauft wurde. Seine Panorama-Windschutzscheibe erinnert an Motorboote der gleichen Ära. Aufgrund der Bestimmung für den amerikanischen Markt kam häufig das Wort ‚America‘ hinzu. Dass sowohl Pininfarina als auch Lancia und Max Hoffman bei der Konzeptionierung eher die warmen Südstaaten als die kalten Nordstaaten im Kopf hatten, merkt man am umständlich zu montierenden Wetterschutz und den Steckscheiben, die mit Mühe ein wenig Fahrtwind und zumindest den Großteil der Regentropfen draußen halten. Mit seinem 120 PS starken V6-Triebwerk war er jedoch gut genug motorisiert, um bei Bedarf auch Hobbyrennfahrern zu gefallen.

Auf dem Autosalon in Brüssel 1954 debütierte der Lancia Aurelia B24 Spider America schließlich und ging im Anschluss in Produktion. Allerdings lief diese aufgrund relativ geringer Nachfrage nur ein Jahr, in dem gerade einmal 240 Fahrzeuge die Fabrik verließen – 59 davon mit Rechtslenkung. Diese war damals auch auf dem italienischen Markt noch obligatorisch, obwohl man dort auf der rechten Straßenseite fährt. Bis heute hält sich immer wieder das Gerücht, dass an Bord des italienischen Passagierschiffes ‚Andrea Doria‘ 50 Neuwagen des Aurelia Spider für den US-Markt gewesen wären. Das Schiff sank nach einem Zusammenstoß mit dem Passagierschiff ‚Stockholm‘ vor der nebligen Küste von Nantucket – allerdings fand dieser Unfall erst im Juli 1956 statt, also deutlich nach dem Produktionsende des Aurelia Spider. Selbst die Annahme, dass stattdessen 50 Exemplare des Nachfolgemodells Aurelia B24 Convertible mit höherer Windschutzscheibe, Kurbelfenstern und Stoffverdeck im Ozean versunken seien, konnte bis heute weder von Markenexperten, noch von Wracktauchern bestätigt werden. Gesichert ist, dass an Bord des Laderaums der ‚Andrea Doria‘ die Konzeptstudie Chrysler Norseman in den Fluten versank – ein von Virgil Exner gezeichnetes und bei Ghia in Italien aufgebautes Coupé.

Im Rahmen der ‚The Quail Lodge‘-Auktion von Bonhams kommt nun ein sehr schönes Exemplar des Lancia Aurelia B24 Spider unter den Hammer. Laut vorliegenden Unterlagen wurde es im Juli 1955 in Italien erstausgeliefert. Damals trug der Wagen sowohl Lack als auch Leder in grau. Der Erstbesitzer wollte den Spider eigentlich bei der Mille Miglia einsetzen und verbaute zu diesem Zweck zeitweise Zusatzleuchten an der Front, nahm von seinem Vorhaben jedoch Abstand, nachdem er eines Nachts bei Trainingsfahrten mit dem Lancia im Naviglio Grande Kanal bei Mailand landete. Das Auto nahm zwar kaum Schaden, das Ehrgefühl seines Besitzers hingegen schon. Dennoch behielten er und seine Familie das Fahrzeug bis in die 1990er Jahre hinein und verkauften es erst dann an Fausto Cammarata aus Florenz. Dieser entschied sich für eine optische und technische Auffrischung des Spider, der dabei seine originalen Technikkomponenten behielt. Diese Restaurierung wurde vom folgenden Besitzer Mitte der 2000er noch einmal aufgefrischt, bevor der Wagen 2008 zum heutigen Besitzer wechselte. Dieser trieb ein seltenes Leistungskit von Nardi mit größerem Vergaser auf, wodurch der Motor gut im Saft steht. Heute sind Aurelia B24, speziell in der Spider-Version, sehr gesucht. Daher erwartet Bonhams einen Zuschlagspreis zwischen 1.000.000 und 1.300.000 US-Dollar.

Bilder: Bonhams