Porsche 911 R
Heutzutage kennt man den Porsche 911 weltweit nicht nur für die zahlreichen Straßenvarianten, sondern vor allem auch für nahezu unzählbare Rennerfolge in aller Welt. Als dieser Heckmotorsportwagen noch jung war, gab es noch durchaus skeptische Stimmen zur Motorsporttauglichkeit dieses Modells. Im Vergleich zum Vorgänger 356 hatte Porsche nicht nur den Preis deutlich gesteigert, sondern auch das Fahrzeuggewicht. In Zuffenhausen herrschte indes kein Zweifel an den Fähigkeiten, die sich im ursprünglich 901 genannten Coupé verbargen. Innerhalb der ersten zehn Modelljahre brachte man den 911 durch das Hinzufügen der Buchstaben T, E, L und S sowie den ab 1967 angebotenen Targa auf einen deutlichen Variantenreichtum mit unterschiedlichen Leistungsdaten zwischen 110 und 160 PS. Während bereits einige Privatfahrer ihre 911er auf der Rennstrecke einsetzten, entstand ab Mitte der 60er in der hauseigenen Motorsportabteilung unter Federführung von Hans Mezger, Peter Falk, Rolf Wütherich und (ab 1966) Ferdinand Piëch eine noch besser geeignete Version, die sich vor allem durch Leichtbaumaßnahmen auszeichnen sollte. Ein erstes Ergebnis gab es bereits 1965 (nur zwei Jahre nach der Weltpremiere des 911) in Form des 2.3 S/T sowie des 2.5 S/T mit Hubraumerweiterung.
Der wirkliche Höhepunkt folgte jedoch erst 1967 mit der Premiere des 911 R. Hinter diesem relativ unscheinbaren Kürzel verbirgt sich der bis heute leichteste und radikalste 911er, der je offiziell die Werksmauern hinter sich gelassen hat. Der ein Jahr zuvor präsentierte 911 S kam je nach Ausstattung auf 1.030 Kilogramm Leergewicht und macht damit manchen heutigen Lotus neidisch. Beim R gingen die Zuffenhausener Ingenieure noch deutlich weiter. Türen und Hauben bestehen aus Glasfaser-Kunststoff mit minimalen Scharnieren aus Aluminium, die hinteren Seitenscheiben und die Heckscheibe aus Makrolon, während die vorderen Seitenfenster (ebenfalls aus transparentem Kunststoff) auf klassische Kurbeln verzichten. Stattdessen lassen sie sich mit einem Lederriemen in wenigen Einstellungen arretieren. Für die Rohkarosserie nutzte man an diversen Stellen dünnere Stahlbleche und setzte Erleichterungslöcher an diversen verborgenen Teilen. Geräusch- und Wärmedämmungen entfielen ebenso wie Teppiche oder die hinteren Notsitze. Um mit den (Renn-)Schuhen nicht direkt auf dem blanken Bodenblech zu stehen, gönnte man dem 911 R dünne Gummimatten. Selbst bei den Rundinstrumenten entdeckte man Sparpotenzial und ließ die Analoguhr weg. Auf einen Deckel für das Handschuhfach, Türverkleidungen, eine Abdeckung des Zündschlosses sowie die Umrandungen der äußeren Türgriffe verzichtete man ebenso. Zuletzt schraubte man am Heck vier kleine, runde Leuchten und vorn rudimentäre Positionsleuchten und Blinker an, die einige Gramm leichter als die Serienteile waren. Als Ergebnis standen schließlich 800 Kilogramm für ein fahrfertiges Auto auf der Waage.
Ins Heck des 911 R wanderte ein von Hans Mezger optimiertes Zwei-Liter-Triebwerk mit 225 PS Spitzenleistung. Aus dem damaligen Rennprogramm mit dem 906 Carrera 6 übernahm man ein Fünfgang-Sportgetriebe, dessen erster Gang unten links im Schaltschema liegt. Insgesamt entstanden erst einmal vier reine Prototypen auf Basis von 911-S-Rohkarosserien, die man dem Porsche-Vorstand vorstellte, um eine Homologationsserie anzustoßen. Um in der GT-Kategorie eingestuft zu werden, hätte man allerdings 500 Exemplare fertigen müssen. Aufgrund der massiven Veränderungen und des nicht mehr vorhandenen Fahrkomforts hielten das jedoch die allermeisten Entscheidungsträger für unverkäuflich. Letztlich baute die Rennabteilung noch weitere 20 Exemplare des 911 R, die man für 45.000 DM an ausgesuchte Rennfahrer verkaufte. Da keine GT-Homologation vorlag, mussten diese in der Prototypenklasse starten, wo man gegen reinrassige Rennautos wenig Chancen hatte. Einzig beim Marathon de la Route, einem heute unglaublichen Rennen über volle 84 Stunden auf Nord- und Südschleife des Nürburgrings, errang der 911 R einen viel bejubelten Gesamtsieg. Hierfür hatte Helmuth Bott eigens den dritten Prototypen auf das damals neue, automatisierte Sportomatic-Schaltgetriebe nebst dem 175 PS starken S-Triebwerk umrüsten lassen, was nach dem Rennen wieder rückgängig gemacht wurde. Zudem nutzten Jo Siffert und sein Schweizer Team einen 911 R für eine Reihe von Geschwindigkeitsrekorden, die man auf dem Ovalkurs von Monza in Italien einfahren konnte. Ursprünglich wollte man hierfür einen 906 Carrera 6 nutzen, dessen Federung sich jedoch als ungeeignet entpuppte. Um die angemietete Strecke doch noch für Rekordversuche nutzen zu können, entsandte Porsche einen 911 R auf Achse Richtung Italien. Neben vier weiteren Rekorden erzielte man über eine Distanz von 20.000 Kilometern eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 209 km/h. Als einzige weitere Erfolge durfte der 911 R sich 1969 noch die Gesamtsiege bei der Tour de France Automobile und der Tour de Corse notieren lassen. Dennoch diente diese Version als Wegbereiter für Modelle wie den 911 Carrera RS von 1972 sowie alle bis heute folgenden Sportvarianten des 911. Heute sind diese 24 Fahrzeuge soetwas wie die Blaue Mauritius für Porsche-Sammler.
In unserer Bildergalerie ist ‚R4‘ zu sehen, der finale Prototyp des 911 R. Dieser Wagen hat seine ganz eigene Geschichte zu erzählen. 1969 verkaufte das Werk R4 an einen Porsche-Händler in Frankreich, die ihn umgehend an einen Privatkunden weitergaben. Allerdings blieben bald einige Ratenzahlungen aus, was dazu führte, dass der Händler den Wagen wieder abholte und anschließend 1970 versteigern lassen wollte. Auf dem Weg zum Auktionshaus verschwand das Auto jedoch spurlos. In den folgenden zwei Jahrzehnten verschwand der 911 R aus der Öffentlichkeit und tauchte schließlich in einer Lagerhalle in Marseille in relativ gutem Zustand wieder auf. Der letzte rechtmäßige Besitzer, besagter Porsche-Händler, erhielt den Sportwagen zurück und verkaufte ihn endlich nach Großbritannien. 2006 wechselte der 911 R in die USA. Der dortige neue Besitzer lieferte ihn alsbald in die Werkstatt von Bruce Canepa in Kalifornien ein, um eine umfangreiche Restaurierung durchführen zu lassen. Hierbei stellte sich heraus, dass alle Glasfaserbauteile original erhalten waren und keinerlei hingepfuschte Vorschäden zu verzeichnen waren, die man sonst gern an alten Rennwagen und Prototypen findet. Seit kurzem steht R4 fertiggestellt in bestem Zustand wieder auf seinen Rädern.
Bilder: Canepa, Zach James Todd