Wartburg 353
Wenn Sie an Autos aus der ehemaligen DDR denken, welches Modell haben Sie dann zuerst vor Augen? Vermutlich den Trabant der Marke Sachsenring. Doch neben dem Volksmobil gab es auch ein etwas größeres und praktischeres Fahrzeug von der VEB Automobilwerk Eisenach. Die Marke mag vielen unbekannt geblieben sein, der Modellname hingegen erinnert an den Rückzugsort von Martin Luther und wurde europaweit bereits vor der Maueröffnung durch Exporte bekannt: Wartburg. Wie beim Trabant gab es auch bei dieser Limousine Mitte der 1960er Jahre einen finalen Modellwechsel. Der 1966 präsentierte Wartburg 353 lief anschließend bis zur Wende in Eisenach vom Band. Allerdings gab es immer wieder kleinere und größere Modifikationen. Vom Vorgänger, dem nur kurz angebotenen Wartburg 312, übernahm der 353 den Kastenprofilrahmen mit einer schlingenartigen Verstrebung von vorn nach hinten.
Sachliches Karosseriedesign
Während diese Rahmenbauweise und der verwendete Zweitaktmotor bereits bei der Premiere als veraltet galten, war die Radaufhängung hochmodern. Die Vorderräder saßen an doppelten Querlenkern, die Hinterräder an Schräglenkern mit Querstabilisator. Schraubenfedern sorgten rundum für guten Fahrkomfort. Auf der Basis einer Kompaktwagenstudie von Karl Clauss Dietel entwickelten Hans Fleischer, Lutz Rudolph und Dietel eine für die damalige Zeit passende Karosserieform mit sachlich glatten Oberflächen. Von Anfang an gab es die beiden Ausstattungsvarianten „Standard“ und „de Luxe“. Letztere hatte eine höherwertige Innenausstattung, ein Zweiklanghorn und mehr Chromzierteile. Gegen Aufpreis gab es zudem Sonderfarben wie „Piniengrün“ und „Karminrot“, ein Schiebedach oder ein Radio. Ab 1968 gab es neue Karosseriefarben. Nachdem bereits ab 1984 alle Chromteile schwarz pulverbeschichtet wurden, gab es ein Jahr später eine neue Frontpartie mit neuen Scheinwerfern und anderem Grill.
Ab 1968 auch als Kombiversion Tourist
Nachdem es vom Wartburg 311 und 312 bereits eine Kombiversion gegeben hatte, verlangten immer mehr Kunden auch beim 353 danach. Es dauerte jedoch zwei Jahre, ehe der 353 Tourist auf dem Markt erschien. Zuvor lief parallel zur 353 Limousine weiterhin der 312 als zweitüriger Kombi und viertüriger Camping in Halle und Dresden vom Band. Diese Produktionsstandorte übernahm man für das neue Modell, das jedoch nur noch mit vier Türen erhältlich war. Hintere Kotflügel und Heckklappe bestehen im Gegensatz zur Limousine beim Tourist aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Ab 1970 erhielten die C-Säulen eine Zwangsentlüftung für den Innenraum. Im vergrößerten Kofferraum war Platz für bis zu 1.800 Liter Gepäck, während die Limousine immerhin 500 Liter fasste. Die Ausstattungen „Standard“ und „de Luxe“ gab es auch für den 353 Tourist, ebenso wie Sonderausstattungen wie das Stahlschiebedach. Ab 1984 ersetzte man den „de Luxe“ durch den 353 S (S für Sonderwunsch). Zudem gab es Pick-Up-Varianten und für das Rallyeteam zwei spezielle Fahrzeugtransporter.
Leistungssteigerung ab 1969
Unter der Motorhaube werkelte von Anfang bis Ende der Bauzeit ein Dreizylinder-Zweitaktmotor mit 992 Kubikzentimetern Hubraum. Dieser brachte es anfänglich auf 33 kW/45 PS und 91 Newtonmeter Drehmoment. Nach dem ersten Produktionsmonat stellte die VEB Automobilwerk Eisenach auf ein vollsynchronisiertes Viergang-Getriebe mit sperrbarem Freilauf in jedem Gang um. Dieses konnte ab 1967 auf Wunsch mit einem Schalthebel auf dem Mitteltunnel anstatt an der Lenksäule bestellt werden. Im Mai 1969 debütierte der 353-1 mit einem auf 36,8 kW/50 PS und 98 Nm leistungsgesteigerten Triebwerk. Rund sechs Jahre später erschien der 353 W (W für Weiterentwicklung) mit Scheibenbremsen vorn und diversen Detailverbesserungen. Erst 1985 verlagerte man den Kühler des Wartburg von der bisherigen Position hinter dem Motor nach vorn direkt hinter den Grill. Dies machte das oben erwähnte Facelifting nötig. Im Herbst 1988 zeigte man den Wartburg 1.3 mit einem Volkswagen-Viertakt-Motor und weiteren optischen Retuschen.
Rallye-Einsätze in ganz Europa
Aufgrund der höheren Motorleistung im Vergleich zum Trabant setzten diverse DDR-Rennfahrer den Wartburg auch im Motorsport ein. Das Werk selbst entwickelte den 353 WR für Rallye-Wettbewerbe. Aus dem auf 1,15 Liter aufgebohrten Triebwerk holten die Ingenieure rund 110 PS und 142 Newtonmeter Drehmoment heraus. Zudem spendierten sie dem Auto ein Fünfgang-Getriebe und ein sportlich abgestimmtes, einstellbares Fahrwerk. Innen entsprach der WR allen gängigen Sicherheitsvorschriften. Ein vollwertiger Überrollkäfig und Sportsitze mit Vierpunktgurten schützten Fahrer und Beifahrer. So gerüstet startete die Werksmannschaft auch westlich des Eisernen Vorhangs, beispielsweise in Griechenland, Finnland, Spanien, England, Belgien oder Dänemark. Insgesamt entstanden 1.225.429 Wartburg 353, davon 868.860 als 353 W. Mehr als 50 Prozent der Produktion (676.837 Stück) gingen in den Export nach Ungarn, Polen, Bulgarien, Jugoslawien, Belgien, Finnland, Griechenland und Deutschland.
Exporterfolg in Grossbritannien
Als Wartburg Knight mit Rechtslenkung gab es die Limousine auch in Großbritannien. Dorthin gelangten allein rund 20.000 Fahrzeuge. Allerdings sorgten ab den 1970er Jahren immer strengere Abgasvorschriften für Neuwagen dafür, dass Zweitakter in den westlichen Exportländern nicht mehr verkauft werden durften. Damit versiegten wichtige Devisenmöglichkeiten der DDR. Den Vertrieb in Westdeutschland hatte man bereits 1969 aufgrund von zu geringen Verkaufszahlen eingestellt. Erst den modernisierten Wartburg 1.3 gab es auch wieder in der Bundesrepublik Deutschland. Doch auch mit Viertaktmotor konnte das Modell nur wenige Käufer überzeugen. Nach nur 152.757 Exemplaren stoppten die Automobilwerke Eisenach im April 1991 die Produktion ohne Nachfolgemodelle. Die Firma wurde liquidiert und die Produktionsstätte ging an Opel. Allerdings hatte der Rüsselsheimer Autobauer bereits zuvor ein neues Werk in Eisenach errichtet, wohin man viele der Bandarbeiter transferierte.
Bilder: AutoWP, Archiv Secret Classics